Filmfriend Juni 2021

Filme im Juni

kuratiert von Jan Wagner

 


 
Jan Wagner, geboren 1971 in Weil am Rhein studierte von 1992 – 98 an der Kunstakademie Düsseldorf. Danach ging er als Stipendiat an die Cité des Arts nach Paris und im Anschluss daran mit einem Stipendium des DAAD nach Tokyo. Von 2001 – 03 studierte er als Postgraduierter an der Kunsthochschule für Medien in Köln, wo er von 2004 – 06 auch unterrichtete. Seit 2010 arbeitet er als freier Kurator für die Filmwerkstatt Düsseldorf, seit 2013 als ihr künstlerischer Leiter. Er ist Vater von zwei Kindern und lebt als freischaffender Künstler und Kurator in Düsseldorf. 


 

 

Synonymes

F / D / IL 2019 | 125 Min. | R: Navad Lapid mit Tom Mercier, Louise Chevilotte

Yoav hat keinen guten Start in Paris. Die Wohnung, an deren Tür er klopft, ist leer. Als er dort ein Bad nimmt, werden seine Sachen gestohlen. Dabei ist der junge Israeli mit höchsten Erwartungen hierher gekommen. Er will so schnell wie möglich seine Nationalität loswerden. Israeli zu sein, ist für ihn eine Belastung, seine Landsleute nerven ihn ebenso wie die Besuche auf der israelischen Botschaft. Franzose zu werden hingegen bedeutet für ihn die Erlösung. Um seine Herkunft auszulöschen, versucht Yoav die Sprache zu ersetzen. Kein hebräisches Wort soll mehr über seine Lippen kommen, stattdessen setzt er alles daran, sein Französisch zu vervollkommnen. Das Wörterbuch wird zum ständigen Begleiter auf seinen ziellosen Streifzügen durch Paris. Halt findet er scheinbar bei Caroline und Emile, einem jungen französischen Paar, mit dem er sich anfreundet. Doch ihr Interesse an seiner Person scheint nicht ganz selbstlos zu sein… Basierend auf eigenen Erfahrungen, erzählt Nadav Lapid hintergründig und mit trockenem Humor von der Schwierigkeit, neue Wurzeln zu bilden. Der Versuch, zu sich selbst zu finden, weckt die bösen Geister der Vergangenheit , existenzielle Abgründe tun sich auf. Eine tragikomische Hommage an die Nouvelle Vague, ein rauschhafter Trip durch das Paris von heute, eine unsentimentale Geschichte über den Versuch, in einem neuen Leben anzukommen. Auf der Berlinale 2019 zeichnete die Wettbewerbsjury unter der Leitung von Juliette Binoche diesen mutigen Film mit dem Hauptpreis, dem „Goldenen Bären“, aus.


Tom at the Farm (Sag nicht, wer du bist)

CA / F 2013 | 100 Min. | R: Xavier Dolan mit Xavier Dolan, Pierre-Yves Cardinal

Der junge Tom aus Montreal fährt aufs Land, um am Begräbnis seines verunglückten Lovers teilzunehmen. Als er beim einsamen Hof der Familie eintrifft, wird er von niemandem erwartet. Die Mutter Agathe weiß noch nicht einmal, dass ihr Sohn schwul war. Und der ältere Bruder Francis macht ihm blitzschnell klar, dass das so bleiben muss. Überrumpelt gibt Tom nach – und lässt sich auf ein seltsames Spiel mit dem unberechenbaren Heißsporn ein, das ihn von Tag zu Tag mehr in seinen Bann zieht …


Dear Mr. Wonderful

D 1983 | 111 Min. | R: Peter Lilienthal mit Joe Pesci, Karen Ludwig

Ruby Dennis (Joe Pesci) lebt am Rand von New York und glaubt fest ans große Geld und große Glück. Er besitzt eine Bowlingbahn, die er „Ruby’s Palace“ nennt und performt dort als Barsänger. Seine Schwester Paula (Karen Ludwig), die ihn unterstützt, muss sich auch noch um ihren Sohn Raymond kümmern, der den Goldkettendiebstahl für sich entdeckt hat. Dann soll „Ruby’s Palace“ abgerissen und als Baugrund genutzt werden. Während seine Inneneinrichtung langsam davongetragen wird, ist Ruby mehr an seiner Karriere als Sänger interessiert. Während seine Felle davonschwimmen, glaubt er weiter fest an seinen Traum und an einen Ausweg. Dear Mr. Wonderful wurde 1983 mit dem Filmband in Gold für die beste Regie ausgezeichnet.


Norte, das Ende der Geschichte

PH 2013 | 251 Min. | R: Lav Diaz mit Sid Lucero, Angeli Bayani

Dostojewskis „Schuld und Sühne“ trifft auf poetischen Realismus: Lav Diaz entwirft ein Sittengemälde der modernen Philippinen, wobei er einem mit seiner filmischen Opulenz und seinem radikalen Nihilismus die Sprache verschlägt. Der bürgerliche Jurastudent Fabian hat genug von der modernen Gesellschaft und will endlich seine revolutionären Ideen in die Praxis umsetzen. Sein Opfer wird die Pfandleiherin seines Wohnviertels: Er ermordet sie, doch die Spur des Verbrechens führt zu Joaquin, einem armen Schuldner der Ermordeten, der ohne Beweise zu einem Geständnis gebracht wird und für Jahre in einem Hochsicherheitsgefängnis verschwindet. Zurück bleibt seine Frau mit den beiden Kindern, die nun alleine den täglichen Kampf ums Überleben meistern muss. Diese kurz angerissenen Handlungsstränge verwebt Lav Diaz zu einem fulminanten, anspielungsreichen und spannenden Gesellschaftsroman, in dem die individuellen Schicksale der Protagonist_innen den Spiegel bilden für eine in den Jahrhunderten des Kolonialismus und den Jahrzehnten der Diktatur beschädigte Gesellschaft.


Solo Sunny

D 1980 | 101 Min. | R: Konrad Wolf, Wolfgang Kohlhaase mit Renate Krößner, Fred Düren

Sunny ist eine Schlagersängerin vom Berliner Prenzlauer Berg, die mit einer Band durch Dörfer und Kleinstädte tingelt. Sie sehnt sich nach Glück und Anerkennung als Persönlichkeit. Der Taxifahrer Harry himmelt sie an, doch seine Lebensmaxime, die „schnelle Mark“, ist nicht die ihre. In den Philosophen Ralph verliebt sie sich, wird aber von ihm betrogen. Während der Tourneen muß sie sich ständig den Nachstellungen des Musikers Norbert erwehren. Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit ihm und einem Streit mit dem widerlich-dummen Conférencier Benno Bohne, der sie auf der Bühne beleidigt, fliegt sie aus der Band. Deprimiert durch den Rausschmiß und enttäuscht von Ralph betrinkt sie sich, nimmt Schlaftabletten und landet im Krankenhaus. Ihre Freundin Christine kümmert sich liebevoll um sie. Sie schöpft langsam neuen Lebensmut, und eines Tages bewirbt sie sich wieder – bei einer ganz jungen Band, die in einem Hinterhaus am Prenzlauer Berg probt. (Quelle: Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg. DEFA-Spielfilme 1946-1992)


Berlin Chamissoplatz

D 1980 | 108 Min. | R: Rudolf Thome mit Hanns Zischler und Sabine Bach

Architekt Martin bekommt den Auftrag, ein besetztes Haus am Chamissoplatz im Berliner Stadtteil Kreuzberg zu sanieren. Dort lernt er Anna kennen, eine junge Studentin, die sich mit einer Bürgerinitiative dafür einsetzt, das Wohngebiet am Chamissoplatz zu erhalten. Obwohl er damit seinen Auftrag auf Spiel setzt, verliebt Martin sich in Anna und geht eine Beziehung mit ihr ein. Von seiner Liebe zu Anna geleitet, wechselt Martin schon bald die Seiten und unterstützt die Anwohner des Chamissoplatzes in ihrem Kampf gegen die Bauspekulanten. Mit seiner ruhigen Erzählweise verbindet Rudolf Thome in BERLIN CHAMISSOPLATZ das politische Thema der Bauspekulation mit einer ironisch gebrochenen Liebesgeschichte. Der Film wurde 2014 mit Mitteln der FFA und alleskino digital restauriert.


The Boss of it All

DK / F / D / IS / I / SE 2006 | 96 Min. | R: Lars van Trier mit Jens Albinus, Peter Gantzler

Der Geschäftsmann Ravn, Eigentümer einer IT-Firma, hat sich noch nie bei seinen Mitarbeitern als Chef zu erkennen gegeben. Unangenehme Entscheidungen hat er bis jetzt immer einen Phantom-Chef durch E-Mails verkünden lassen. Nun aber will ein Investor die Firma übernehmen und fordert ein persönliches Treffen mit dem Eigentümer. Ravn muss sich etwas einfallen lassen. Er engagiert den Schauspieler Kristoffer, der die Firma an diesem wichtigen Tag vertreten soll. Schnell bemerkt Kristoffer den angestauten Frust der Mitarbeiter und macht Ravn und seinem Plan einen Strich durch die Rechnung. Kristoffer geht langsam in seiner neuen Rolle, als „Boss of it all“ auf…


Echtzeit

D 1983 | 111 Min. | R: Hellmuth Costard, Jürgen Ebert mit Adolf Hornung, Leo M. DeMaeyer

ECHTZEIT von Hellmuth Costard und Jürgen Ebert ist ein Film wie Gedanken. Über Wirklichkeit und digitalisierte Welt. Ein Film über Ruth und Georg, die es vielleicht gar nicht mehr gibt. Ein Film über „gedachte Kameras“, synthetische Landschaften, über (Flug-)Simulatoren und Pershin II. In essayistischer Manier von Kluge-Filmen führt der Film die bedrohliche Irrealität moderner Computer-Technologie vor. Ein Film, der auf verschiedenen Ebenen erzählt und handelt, die sich – gleich den Zeilen eines Bildschirm-Bildes – gegen Ende immer mehr zu einem Ganzen, zu einem Krimi zusammensetzen. Unterschiedliche Bilder: Männer, die auf einen Monitor schauen, auf dem eine künstliche Landschaft generiert wird, alte Schwarzweißfotos von Flugzeugen, dressierte Delphine, der Flug einer Rakete, Arbeiter, die in einem Labor Computerteile produzieren. Georg, ein entlassener wissenschaftlicher Mitarbeiter, landet plötzlich in einem irrealen virtuellen Raum, in dem er Ruth begegnet, in die er sich verliebt. Sie konfrontiert ihn mit ihrem Verdacht, dass sie beide gar nicht mehr wirklich leben … Echtzeit ist ein Begriff aus der Computersprache. Er bedeutet, dass ein Computer so schnell rechnet, wie die Wirklichkeit abläuft, mit der er umgeht. Der Film Echtzeit ist ein experimenteller Film über eine experimentelle Welt. Es gibt darin Landschaften, die nur in digitalisierter Form in Computern existieren, einen Computerfachmann, der nicht mehr so genau weiß, ob er nicht auch nur eine Simulation, ein elektronisches Wesen ist. Aber es gibt auch die Treppenhäuser des größten Baumeisters der deutschen Barockzeit, Balthasar Neumann, und eine Versammlung von Mächtigen in einer kleinen Hauptstadt am Rhein. Insgesamt ist der Film eine Reflektion über die Wirklichkeitsverluste, die die Elektronik über die moderne Welt gebracht hat. (Quelle: www.deutsches-filmhaus.de)


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